Armenhaus

Ulrich Droldner

Etwa 300 Meter außerhalb des Dorfes an der Freiweide lag noch bis zum Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts das „Schlösschen“. Ein traditionell reetgedecktes Fachwerkhaus mit Lehm- und Ziegelwänden. Im Inneren in Stuben aufgeteilt, war es dazu gedacht, in Wohnungsnot geratene Mitbürgerinnen und Mitbürger, seien es nun einheimische oder aus der Heimat vertriebene, eine, zumindest vorübergehende, Bleibe zu bieten. Der Ursprung geht auf das späte Mittelalter zurück, als es in fast jedem Dorf und jeder Stadt ein Armenhaus gab, man aber noch darauf bedacht war, keine Fremden zu beherbergen.

Das Kühsener Armenhaus mit Nebengebäude. Quelle: Chronik Kühsen. Autor: Erwin Rickert.
Das Kühsener Armenhaus mit Nebengebäude. Quelle: Chronik Kühsen. Autor: Erwin Rickert.
U. Droldner - Das „Schlösschen“ 1981 (Öl auf Leinwand).
U. Droldner - Das „Schlösschen“ 1981 (Öl auf Leinwand).

Beitrag von Doris Gehrling

Nach all den Unsicherheiten und Nöten, denen die Heimatvertriebenen am Ende des 2. Weltkrieges ausgesetzt waren, wurde das Kühsener „Schlösschen“ ein erster sicherer Wohnort für einige Kühsener Familien. Eine Durchgangsstation für diejenigen, die hier später ein Stück Bauland oder ein Gebäude, oftmals durch den Lastenausgleich erwerben konnten, um zu bleiben.
Eine eindrückliche Schilderung vom Alltag im Armenhaus liefert uns hier unsere Zeitzeugin Doris Gehrling, 1948 hier geboren als Doris Schulz. Wir bedanken uns herzlich sowohl für den Bericht, als auch für die freundliche Genehmigung, Fotos und Bilder aus ihrem Besitz hier zeigen zu dürfen. Danke, Doris.

Foto von Doris Gehrling.
Doris Gehrling

Audiotransskription:

Ich hab auch eigentlich eine glückliche Kindheit gehabt, muss man sagen, auch in diesen 10 Jahren da oben. Ich hab‘ keine Not gehabt und keinen Hunger, wie viele gleich nach dem Krieg vielleicht, das erinnere ich nicht. Ich finde wir haben recht früh schon, das siehst du auch Ostern, Ostereier bekommen, Schokolade bekommen, alles, was da war. Weihnachten gab’s – wir haben auch Osterausflüge gemacht – Weihnachten gab‘s schon einen Puppenwagen recht früh mit ‘ner Puppe und jeder hatte – ich hab‘ noch so’n schönes Bild – jeder hatte sein Päckchen auf dem Tisch, wurde aufgeteilt, da war der bunte Teller drauf, das gab’s alles schon, soweit ich mich erinnere. Meine Kinder… äh Geschwister – die haben das wahrscheinlich anders empfunden, aber ich selber nicht. Was nicht so schön war: da gab’s keinen Strom, da gab’s kein Wasser. Toilette war, das kann man sich nicht vorstellen, euer Alter, aber du wirst es noch kennen, vielleicht – ‘ne Toilette über’n Hof ja,ja,ja ja, das sind ja alles, haben ja viele gehabt. Und das Wasser hast du aus dem Brunnen geholt zum Waschen. An so ein Ritual kann ich mich erinnern: Ostern sind mein Vater und mein Schwager zur Quelle, die im Wald war, es wurde Wasser geholt und dann wurde sich da morgens mit gewaschen, Ostern. Das… das weiß ich auch noch so. Ja, und… Besonderheiten die ich so… Süßigkeiten, das war für dich kein Mangel. Du hast das nicht gekannt und dann hast du es auch nicht vermisst. Und du sagtest, das Wasser musstet ihr holen vom Brunnen. Ja Die Heizung, wie war das? Ja Wie habt ihr die Wärme in… Ofenwärme, da hatten wir… Wir haben in der Mitte gewohnt von dem Schloss. Ich hab‘ ja ‘n großes Foto, das hat Willi ja mal gemalt, das kennst du auch. Und wir haben in der Mitte gewohnt und da kamst du rein. Da hatten wir da einen Flur, rechts war ein Zimmer, links war das Wohnzimmer. Dann gingst du ganz durch diesen Flur, war ja alles Lehmboden, und dann hatten wir da so einen offenen… da wurde Wäsche im Kessel gewaschen – das weiß ich noch – mit offenem Schornstein und da unter war ‘ne Feuerstelle. Und wenn du weitergingst, kamst du hinten in so’ne Küche und eine Abstellkammer, das… Und direkt in dem Raum haben meine Brüder alle geschlafen. Mein Vater hat im Wohnzimmer auf’m Chaiselongue, hieß es früher, hat der geschlafen und meine Mutter mit uns beiden in der Küche, Gila und ich in dem einen Bett und meine Mutter in dem anderen. Ja, und man schlief auf Stroh, Matratzen hatten wir ja nicht. Und das Wasser wurde, wenn du hier… wir hatten hinten noch so’n kleinen Garten, denn musstest du hier raus, da war die Pumpe. Und wenn das im Winter zugefroren war, denn wurde das natürlich ein Problem – Bügeln ja auch. 6 Jungs, das war bei uns mein ältester Bruder Helmut, der trug gerne Hemden. Meine Mutter hat immer, das sehe ich heut noch, mit dem Kohleneisen alles gebügelt und gemacht. Es war immer alles sehr, ja es war schon alles akkurat, muss man sagen. Meine Mutter war sehr ordentlich, wir hatten immer neue Kleider, weil sie viel selbst genäht hat. Solange wir da oben gewohnt haben, war für uns das Dorf tabu. Wir sind gar nicht im Dorf gewesen. Wir haben da oben unser Reich gehabt als Kinder. Die Jungs mit Sicherheit, aber wir als Mädchen, Gisela und ich, wir waren sehr behütet einfach. Also im Dorf, wir waren mal einkaufen, aber dann auch wirklich nur wenig. Das meiste haben wirklich meine Brüder immer alles gemacht, also. Aber wir als Mädchen – da haben die oft auch noch gesagt, wir würden beide wie Prinzessinnen behandelt, wir konnten für euch alles tun. Na ja, wenn so viele Jahre dazwischen liegen und man ist dann noch so klein, und wenn 6 Jungs um einen sind, die kümmern sich dann auch. Das ist wirklich wahr, das war auch so noch manchmal, auch, als wir denn schon da unten wohnten, bis im Teeniealter, denn wurden die Jungs denn von zu Hause losgeschickt, guckt mal, wo die sind. Ja, magst du noch was sagen zu der besonderen Situation, du hast es vorhin schon ein bisschen angedeutet, dass ihr als Familie auch ein klein bisschen besonders betrachtet wurdet, weil ihr eine große Familie wart, weil ihr zugezogen seid. Hast du da irgendwelche Ressentiments gespürt oder Vorbehalte? Ich nicht, ich nicht so, aber natürlich, wenn da… Die Jungs waren ja nun nicht alle so, manche waren auch recht schüchtern, aber wie Dieter, die waren auch so’n b… die waren im Dorf natürlich auch, natürlich gab’s auch Kämpfe. Ja, und dann auch von der Schule her und das erinnere ich so, aber ansonsten. Das wir jetzt also gemieden wurden, das nein, das kann ich nicht sagen. Wir waren ja, waren ja überall, wenn Erntefest war, oder so, denn… mein Vater hat überall geholfen, gearbeitet wo er konnte. Nicht nur an einer Stelle, bis er dann einmal auf der Ziegelei anfing in Behlendorf. Dann war er aber trotzdem nebenbei bei Hardekopf, war zum Beispiel da unten, das war auch eine Familie, die uns sehr zugetan war. Das weiß ich noch, da kriegten dann – meine Eltern hatten 58 Goldene Hochzeit… äh Silberhochzeit. Und das war dann unsere erste Feier unten im Siedlungshaus und die Familie Hardekopf war damals auch – und denn kriegten meine Eltern für 12 Personen – das konnten sie sich gar nicht leisten – ein Ess- und Kaffeeservice. Das war schon wirklich… das war… ja lobenswert und anerkennend, dass man gemerkt hat, du warst auch willkommen, sonst wär’s nicht so gewesen.

U. Droldner - Das „Schlösschen“ 1981 (Öl auf Leinwand).
Das Schlösschen. Quelle: Doris Gehrling.
U. Droldner - Das „Schlösschen“ 1981 (Öl auf Leinwand).
Familie Schulz vor dem Schlösschen. Quelle: Doris Gehrling.
Gemälde vom „Schlösschen“ von Willi Schulte. Jahr: 1991. Quelle: Doris Gehrling.
Gemälde vom „Schlösschen“ von Willi Schulte. Jahr: 1991. Quelle: Doris Gehrling.