Nachkriegszeit

Ulrich Droldner
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Erwin Rickert - Chronik Kühsen

NOTZEIT IN DER SCHULE NACH 1945
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Die Schulchronik berichtet:
"Das Jahr 1945 ist auch für die Schule ein Katastrophenjahr, das Jahr des Zusammenbruchs jeder geregelten Schularbeit. Schon Mitte Januar werden der Unterricht gekürzt und nur noch häusliche Arbeiten besprochen und am nächsten Tage kontrolliert. Anfang April hört auch das auf. Das Dorf sieht dauernd Einquartierung durchziehender deutscher Truppen. Am 2.Mai kapitulieren die im Dorf anwesenden Truppen vor den einrückenden Eng-ländern. Bis nach Pfingsten wird das Dorf und auch die Schule mit britischem Militär belegt. Gottlob halten di Briten gute Zucht. Es wird wenig ruiniert. Leider ist mit dem Abzug des Militärs auch der Schulfilmapparat verschwunden.
Der Unterricht sämtlicher Schularten im Lande ruht. Er darf ohne Genehmigung der Militärregierung nicht wieder aufgenommen werden.
Die ersten Schulen des Kreises werden am 1.12.1945 wieder geöffnet, und zwar zuerst die Grundschulen. In Kühsen beginnt der Unterricht am 3.12.45 mit 44 Kindern, davon sind 15 Einheimische und 29 Flüchtlings-kinder. Am 3.1.1946 kommt die Oberstufe hinzu (Kinderzahl:77 = 28 Einheimische und 49 Flüchtlingskinder).
Da die Klasse nur 54 Kinder faßt, muß in zwei Schichten unterrichtet werden. Die Schwierigkeiten, die einem normalen, geregelten, erfolgversprechenden Unterricht entgegenstehen, sind groß. Es fehlen sämtliche Lernmittel (Fibeln, Lese-, Sprach- und Rechenbücher, Papier, Federn, Bleistifte und sogar Griffel und Schiefertafeln Ein Teil der Kinder benutzt selbsthergestellte Tafeln aus braunem Kunstdachschiefer. Im freien Handel sind Lernmittel überhaupt nicht zu kaufen. Sie werden vom Schulamt über den Handel nur sehr spärlich zugeteilt.
Alle diese Mängel beeinträchtigen die Unterrichtserfolge. Hinzukommen, besonders bei Flüchtlingskindern die mangelhafte Ernährung, Kleidung und die beengten, z.T. primitivsten Wohnverhältnisse. Ein Teil wohnt selbst im Winter in unheizbaren Räumen und kann sich nur zeit weise bei den Wirten aufwärmen. Die Normalverbraucher

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sind auf dem Lande oft nicht besser gestellt als in der Stadt.
Da die Gemeinde keine Feuerung für die Klasse beschaffen konnte, mußten die Kinder auf Befehl der Militärregierung täglich ein Stück Brennholz mitbringen.
Vom 17.6.1946 an wird an die Kinder der Normalverbraucher und Teilselbstversorger, die kein Milchvieh besitzen, eine Schulspeisung in bescheidenem Umfang ausgegeben. An drei Tagen der Woche erhalten die Kinder gegen Zahlung von 4 Pfg.je einen halben Liter Magermilch. Sie wird z.T. zu ein wenig Brot gleich getrunken oder aber auch mit nach Hause genommen. Zu Weihnachten bekommt jedes Kind eine Tafel Schokolade von der Militärregierung. Im Winter 1947 mußte die Milchspeisung ausgesetzt werden. Dafür begann aber am 1.Juni die amerikanische Hoover-Speisung. Voraus ging eine ärztliche Untersuchung, die die vorher gemessenen und gewogenen Kinder in vier Ernährungsklassen einstuft. Ergebnis: 12,7 % nicht erforderlich, 55,5 % erforderlich, 31,8 % dringend Schulspeisung erforderlich.25 Kinder sind tuberkuloseverdächtig und müssen sich einer Durchleuchtung in Mölln unterziehen. Auf Grund dieses Ergebnisses erhält die Schule zunächst täglich 62, später 75 Portionen, die mit je 0,20 RM bezahlt werden müssen. Die Nahrungsmittel werden von der Verteilerstelle Sandesneben abgeholt und in der Waschküche des Bürgermeisters Flögel zubereitet und ausgegeben. Jede Mahlzeit enthält etwa 350 Kalorien. Bedürftige Kinder erhalten sie kostenlos aus Mitteln der Notgemeinschaft der vier Wohlfahrts-organisationen.
Am 1.5.1950 hört die Schulspeisung auf. Nach der Währungsreform im Juni 1948 hat sich mit der Deutschen Mark endlich der Lebensstandard selbst der Renten- und Fürsorgeempfänger so gebessert, daß die Teilnehmerzahl an der Speisung immer weiter zurückging. Da allgemein auch von den Vertriebenen Kleinvieh und Schweine gehalten wurden, war die Ernährung erheblich besser geworden, so daß man die Schulspeisung mit gutem Gewissen einstellen konnte. In den Städten bestand sie noch weiter Im Jahre 1947 stieg die Kinderzahl auf 123. Die Oberstufe besaß noch keine Lernmittel, und Papier und Hefte wurden immer knapper. Vom Juli 1947 bis 1.4.1948 wurde

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keinerlei Schreibhefte zugeteilt. Das 1.Schuljahr erhielt ausreichend Behelfsfibeln in einfachster schwarz-weißer Ausstattung und stärkster Stoffbeschränkung auf 45 Seiten.
Der Unterricht muß in drei Schichten erteilt werden, wird aber immer noch von Lehrer Fischer allein durch-geführt. Am 1.6.1947 kommt eine zweite Lehrkraft dazu, so daß jetzt in drei Klassen von 7 Uhr bis 17,30 Uhr unterrichtet werden kann und die Kinder vollen Unterricht erhalten.
Nach der Währungsreform 1948 besserten sich die Unterrichtsmöglichkeiten grundlegend, da der Handel nach und nach alle notwendigen Lehr- und Lernmittel wieder anbot. So wurde auch auf diesem Gebiet das Schulchaos wieder beseitigt. Heute, 1959, sieht sich die Schule einem Überangebot von Unterrichtsmaterialien gegenüber-gestellt, das auch den sogenannten "gläsernen Menschen" und den Atomreaktor für Schulversuche mit einschließt.